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5. Kolumne Aargauer Zeitung: Die Pizza am Nebentisch

25.03.2020 12:21

Drei andere Aargauer Athleten (Oliver Hegi - Kunstturnen, Ciril Grossklaus - Judo, Michelle Heimberg - Wasserspringen) und ich schreiben wöchentliche Kolumnen in der Aargauer Zeitung über unseren Weg Richtung Tokio 2020. Im Folgenden meine fünfte Kolumne:

Für die einen sind es die vier Ringe einer Automarke, die das Glück auf Erden bedeuten sollen. Für andere ist es der eine Ring am Finger. Zweiterer ist mir im Moment noch nicht so wichtig. Viel lieber hätte ich diesen Sommer fünf Ringe erhalten. Nicht am Finger, nicht in Gold, sondern in Blau, Rot, Schwarz, Gelb und Grün.

Sie sassen bestimmt auch schon mal im Restaurant und warteten lange und geduldig auf Ihre Pizza. Da kommt der Kellner mit der Pizza, die Sie bestellt haben. Das Wasser läuft Ihnen schon im Mund zusammen. Doch im letzten Moment dreht sich der Kellner zum Nebentisch und serviert die Pizza der Dame nebenan.

Insgesamt zwei Jahre lang lief unsere Qualifikationsphase für einen Nationen-Startplatz an den Olympischen Spielen 2020 in Tokio. An der Weltmeisterschaft in Berlin war die letzte Möglichkeit, das Werk zu vollenden, nach den Ringen zu greifen. Ein letztes Rennen, das alles entscheiden sollte.

Die Wochen davor waren sehr intensiv. Viel Training und harte Einheiten. Wir versuchten in der Vorbereitung, alles so perfekt wie möglich zu machen. Viel Schlaf, gesund essen, nie kalt haben und nach dem Training so gut wie möglich erholen. Man schaut auf jedes Detail. Das Material wird nochmals ausgeklügelt, zum Beispiel mit einem neuen, aerodynamischeren Lenker. Oder einem neuen, massangefertigten Rennanzug.

Ich war bereit. Am Sonntag reisten wir an. Sechs Tage blieben bis zum Rennen. Das Training an den ersten beiden Tagen verlief sehr gut. Ich fühlte mich schnell, spritzig und fit. Doch am Mittwoch zogen Wolken auf. Ich fühlte mich plötzlich unwohl. Einfach nicht mehr hundert Prozent gesund. An diesem Tag durfte ich noch bei einem anderen Rennen am Start stehen. Da es eine WM ist, liess ich dieses Rennen natürlich nicht aus.

Den Donnerstag verbrachte ich im Bett. Meine Erkältung hatte sich verschlimmert. Gesund werden, so schnell wie möglich, lautete die Devise. Auch am Freitag fühlte ich mich alles andere als rennfähig – ein Wettlauf gegen die Zeit. Verzweiflung machte sich in mir breit. Trotzdem wollte ich einen kühlen Kopf bewahren. Einfacher gesagt als getan. Wenn man Hunger hat, kann man auch nicht mehr aufhören, an die Pizza zu denken.

Samstag, Renntag: Ja, ich kann fahren. Dachte ich mir. Am Morgen versuchte ich, ein Warm-up auf dem Rad zu machen, so wie ich es normalerweise auch vor dem Rennen tun würde. Nach 12,5 Minuten stoppte ich keuchend. Ja, ich wollte fahren. Aber mein Körper war nicht in der Lage, Höchstleistungen zu erbringen. Dies einzusehen und auszusprechen, war das Schlimmste für mich überhaupt.

Gemeinsam mit dem Nationalmannschaftstrainer habe ich deshalb entschieden, dass mich meine Teamkollegin ersetzen wird. Die Olympia-Qualifikation haben wir um einen Rang verpasst. Die Pizza landete am Nebentisch. Ich hätte so Hunger gehabt.

Dass die Wettkämpfe nun um ein Jahr verschoben wurden, spielt in meinem Fall keine Rolle. Unsere Qualifikationen werden so oder so gültig sein. Nichtsdestotrotz soll es in vier Jahren wieder Olympische Spiele geben. Wenn ich Hunger habe, dann richtig!

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