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6. Kolumne Aargauer Zeitung: Meine Version von Homeoffice

04.04.2020 12:27

Drei andere Aargauer Athleten (Oliver Hegi - Kunstturnen, Ciril Grossklaus - Judo, Michelle Heimberg - Wasserspringen) und ich schreiben wöchentliche Kolumnen in der Aargauer Zeitung über unseren Weg Richtung Tokio 2020. Im Folgenden meine letzte Kolumne:

Wer kennt die Situation schon nicht? Economy Class – der Mittelsitz, in dem Sie sich gerade befinden, ist eng und wird auf Dauer ungemütlich. Da können die Sitznachbarn noch so schlank sein.

Ja, fliegen bin ich mir gewohnt und solche Situationen kommen oft vor. Und obwohl es nicht immer gemütlich ist, hat das Reisen auch viele Vorzüge. Ich ver­suche, sofern nicht zu müde, die Zeit über den Wolken fürs Studium zu nutzen. Ich studiere Psychologie an der Fernuniversität Schweiz.
Das heisst, alle meine Auf­gaben erhalte ich über eine Internetplattform zugestellt, um sie selbstständig zu lösen. Im Flugzeug krame ich also jeweils mein iPad hervor und stelle es auf das winzige Tischchen vor mir. Das Schulbuch dabei auf den Oberschenkeln ruhend, versuche ich mir, den Schulstoff beizubringen. Mein Etui muss ich stets ein wenig bändigen, landet dies doch immer irgendwie auf dem Boden oder beim Sitznachbarn. Sobald dann noch das Essen kommt, wird es richtig eng.

Dies ist meine Version von Homeoffice. Oder besser gesagt: war es. Denn jetzt bin ich aufgestiegen in die Business Class. Ich habe einen breiten Tisch, keine störenden Personen neben mir. Fürs Essen kann ich sogar in einen anderen Raum und ein Bett steht auch immer zu Verfügung. Sogar Platz zum Trainieren gibt es reichlich! Ja ich bin im Luxus, ich bin zu Hause!

Es ist wohl etwa zwei Jahre her, seit ich das letzte Mal mehr als drei Wochen am Stück zu Hause war. Der Koffer meiner letzten Reise vor der Coronakrise stand fast eine ganze Woche in meinem Zimmer – Dreck­wäsche aussortiert. Nicht, weil ich keine Zeit hatte, ihn auszuräumen, nein, ich wusste einfach nicht, wohin mit den Dingen, die eigentlich immer in meinem Koffer weilen. Darüber musste ich mir in den letzten Monaten nie Gedanken machen, bereitete ich mein Gepäck doch sowieso gerade wieder für die nächste Reise vor.

Ja, ich bin im Luxus. Nicht nur in meinem Homeoffice fürs Studium, sondern auch in meinem Fahrrad-Homeoffice. In den vergangenen zwei Wochen wurden die Strassen und Velowege in der Schweiz von der Sonne mit goldenem Licht beschienen. Ich darf mich glücklich schätzen, eine Sportart ausüben zu dürfen, die draussen stattfindet. Es ist mir bewusst, dass andere im Moment nicht in derselben, privilegierten Situation sind. Natürlich darf ich als Bahnfahrerin nicht mehr ins Velodrome.

Da aber ohnehin der grösste Teil des Trainings auf dem Rennrad stattfindet, kann ich meinen Plan fast genau gleich weiterführen. Trainiert wird aber nicht mehr in Gruppen, sondern alleine. Dass ich mich nicht für die Olympischen Spiele in Tokio qualifiziert habe, ist trotz der Verschiebung definitiv. Doch die nächsten Wettkämpfe kommen bestimmt. Irgendwann. Bevor ich also wieder in der Economy Class zu Rennen fliege, geniesse ich noch die Vorzüge der Business Class zu Hause.

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